Vorbemerkungen 3: Literarizität: Rap und Battlerap als Kunst verstanden Lyrics

Insbesondere im Battlerap tragen viele Lieder autobiographische Züge: bei Kool Savas ist in seinen Künstlernamen sogar der bürgerliche Name Savas Yurderi eingegangen. Im gesamten Spektrum des Rap ist eine starke Analogie zum Geniegedanken des Sturm und Drang zu verzeichnen:1 den RapperInnen ist Originalität extrem wichtig und es gibt kaum etwas Verwerflicheres innerhalb der Szene als beispielsweise Reime eines anderen Rappers bzw. einer anderen Rapperin zu klauen und selbst zu verwenden. Der Szenebegriff hierfür ist das biten2. Insofern darf trotz der vorherrschenden Intertextualität von einer Autorintention ausgegangen werden, ohne sie wären Battlerap-Texte kaum denkbar, in Kapitel 2.4 wird das Thema Intertextualität vertieft.

Beinahe alle RapperInnen haben an ihre Musik den Anspruch, künstlerisch wertvoll zu sein (oder zumindest den Anspruch an sich selbst, KünstlerIn zu sein)3, sie und ihr Talent bzw. ihre Arbeit werden aber zum Großteil verkannt oder in einem negativen Kontext thematisiert. Bisherige wissenschaftliche Annäherungen an die Phänomene HipHop und Rap beschäftigen sich hauptsächlich mit einzelnen anderen Aspekten und betrachten Rap unter Gesichtspunkten der Gender- und Gewaltforschung, dem Einfluss auf Jugendliche aus pädagogischer Perspektive, der Globalisierung/Lokalisierung (auch: ,Glokalisierung') oder verstehen Rap nur als Phänomen der Popkultur, als Jugend- und Protestkultur oder Modeerscheinung. Dabei handelt es sich hier vielmehr um Lyrik, um Poesie:

„What seems most required at this point is a more basic and 'poetic' approach, one which would give poets and scholars some content and keys to understanding Rap as poetry and not merely as a phenomenon of popular culture.“4

Nicht umsonst bezeichnen sich RapperInnen als Lyricists, nicht umsonst werden die Songtexte als Lyrics betitelt, insofern sie irgendwo schriftlich festgehalten sind, jedoch haben die meisten Spielarten des Rap (was übrigens auch als Abkürzung für Rhythm and Poetry verstanden werden kann) – allen voran Gangster- und Battlerap – mit einem extrem schlechten Ruf zu kämpfen,

„[...] the mass media's inability to discern metaphor from reality plays a large part in the public perception of what has become known as 'gansta rap.'“5

Eine erfreuliche Ausnahme bildet hierbei Sascha Verlan, der eine Lanze für Rap und dessen Literarizität bricht, wie man es bis auf einige wenige Ungereimtheiten treffender kaum bewerkstelligen kann:

"Zugespitzt formuliert: die Literatur wird neu erfunden, jeden Tag und ohne Bezug zur literarischen Tradition. [6] Warum auch? Ja, es wird diskutiert, ob der Reim zur Beschreibung dieser Welt angemessen sei, nachdem die Komplexität der Reime derart ins Extreme getrieben wurde, dass jeder Inhalt verloren gehen musste. [7]

Ja, es wird über Kunst, Moral und Verantwortung diskutiert, seit einige Rapper – wie damals Benn, Hamsun, Céline und Pound – mit rechtsradikalen Haltungen spielen. Ja, es sind Experimente zu verzeichnen, die deutliche Bezüge zur Romantik (Taugenichts-Ideal), zum Expressionismus, zu Impressionismus und neuer Sachlichkeit aufweisen. [8]

Doch geschieht dies ohne jede postmoderne Bezugnahme. Die Rapper kennen ihre vermeintlichen Vorbilder nicht. [9]
Sie stoßen auf diese Fragen und Probleme, weil sie zum Wesen von Sprache und Dichtung gehören. Sie entdecken Dinge, auf die Dichter in früheren Zeiten aus vergleichbaren Gründen gestoßen sind. Sie entdecken sie, weil sie sich mit Sprache auseinander setzen. Und diese Auseinandersetzung weckt letztlich auch das Interesse an den Werken anderer Dichter und Zeiten. Was haben andere geschrieben, was kann ich davon lernen? Und so schließt sich der Kreis.

Rap landet dort, wohin Lehrer und Politiker die Jugendlichen gerne gebracht hätten. Rap kommt dort an, weil er sich auf den Weg gemacht hat, eigenständig, auf der Suche nach Bildung und Ausdruckskraft. Eine selbstbestimmte Bewegung, die keiner Führung von außen bedarf. Was erstaunen muss, ist ihre schiere Anzahl der Rapper sowie der im Rap ernthaltene Aufruf, selbst den Stift in die Hand zu nehmen, selbst zu dichten.

Welche andere literarische Strömung, welche andere Dichterschule hat eine vergleichbare Wirkung entfacht?

Rap ist Ziel und Anfang der Literatur, er bricht mit der literarischen Tradition und erfindet sie neu.

Wer es nicht glauben will, der mache sich auf den Weg in die Jugendhäuser, in die Kinderzimmer und Schulhöfe, der mache sich frei von seinem elitären – und obsoleten – Kunstverständnis, der lasse sich ein auf den neuen Tanz der Verse.
Gewiss, Vieles ist oberflächlich, unbeholfen, einfach schlecht. Aber kommt es darauf an? Und mal ehrlich: ist es in der zeitgenössischen Literatur anders? Es geht um die Ausnahmen, hier wie dort, um die herausragende Leistung, um Dichtung!"10

How to Format Lyrics:

  • Type out all lyrics, even repeating song parts like the chorus
  • Lyrics should be broken down into individual lines
  • Use section headers above different song parts like [Verse], [Chorus], etc.
  • Use italics (<i>lyric</i>) and bold (<b>lyric</b>) to distinguish between different vocalists in the same song part
  • If you don’t understand a lyric, use [?]

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Zur Kapitel-Überschrift:
Vgl. hierzu auch: Salaam, Mtume: Rap as Art: Some Thoughts on the Aesthetics of Rap. In: Karrer, Wolfgang & Ingrid Kerkhoff (Hrsg.): Rap. Hamburg/Berlin 1996, 119-142; und Peters, Severin: Romantische Lyrik und Rap-Texte als Ausdruck progressiver Universalpoesie (F. Schlegel) – Ein Vergleich -. Siegen 2002.

Fußnoten:

1: Siehe hierzu: Brunner, Horst & Rainer Moritz (Hrsg.): Literaturwissenschaftliches Lexikon. Grundbegriffe der Germanistik. Berlin 2006, 381-384.

2: Auf deutsch ,beissen', evtl. entstanden als Sinnbild für ein Stück herausreissen, abbeissen.

3: Zum Beispiel: „Ich als Künstler hab' die Wahl: Harte Arbeit oder Flennen.“ (Zitat: Motrip auf dem Track „Kennen“ aus dem Album „Embryo“, 2012) und: „Trotzdem sterb' ich für die Kunst!“ (Zitat: Kool Savas auf dem Track „Und dann kam Essah“ aus dem Album „Aura“, 2011) sowie: „Wer sagt, dass Du Hure wirklich ein Künstler bist? Rap ist lediglich das, was dein Hartzerstatus begünstigt. Ich hingegen schwebe (slash) bewege mich auf der Meta-Ebene.“ (Zitat: Kool Savas auf dem Track „Optimale Nutzung unserer Ressourcen“ aus dem Album „Aura“, 2011)

4: Wood, Brent: Understanding Rap as Folk-Poetry. In: Mosaic 32:4 (Dezember 1999), 129-130.

5: Ebd., 135.

6: Das ist so nicht richtig. Deutsche Rapper beziehen sich sehr wohl auf die literarische Tradition: „Neuzeitpoet, ihr könnt es auch bei Google suchen, Essah jetzt direkt neben Hesse und Brecht im Hugendubel.“ (Zitat: Kool Savas auf dem Track „Und dann kam Essah“ aus dem Album „Aura“, 2011)

7: Wird nicht gerade durch eine erhöhte Komplexität der Reime, Stilmittel und Techniken und damit einhergehende erweiterte Möglichkeiten der Ausgestaltung ermöglicht, selbst in Reimen die Welt immer besser abzubilden? Warum der Inhalt darüber angeblich verloren gehen musste, leuchtet nicht ein.

8: Ebenfalls und vielleicht insbesondere zum Sturm und Drang oder der Aufklärung.

9: Siehe Fußnote Nr. 6.

10: Verlan, Sascha: HipHop als schöne Kunst betrachtet – oder: die kulturellen Wurzeln des Rap. In: Androutsopoulos, Jannis (Hrsg.): HipHop. Globale Kultur – lokale Praktiken. Bielefeld 2003, 145-146.

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